Ein Kind aus Alencon (1873-1877)
Die Familie Martin war bäuerlichen und militärischen Ursprungs, stammte aus der Region Normandie (Frankreich) sowie dem Departement Mayenne und wurzelte in festen Traditionen. Louis Martin (1823-1894) wurde in Militärlagern erzogen und dachte ernsthaft an ein Leben im Kloster. Dieser Wunsch verwirklichte sich jedoch nicht, und er wendete sich der Uhrmacherei zu. Ihrerseits versuchte Zélie Guérin (1831-1877) erfolglos bei den Ordensfrauen vom Hause Gottes Barmherziger Schwestern einzutreten. Sie erlernte die Kunst der Herstellung von Alencon-Spitzen und bewies bei dieser Präzisionsarbeit viel Geschick. 1858 heirateten sie. Ihnen wurden neun Kinder geboren. Die Kindersterblichkeit nahm ihnen vier, davon zwei Jungen. Die kleine Thérèse kam am 2. Januar 1873 in Alencon als letztgeborenes Kind der Familie Martin zur Welt. Sie wurde ein Jahr lang zu einer Amme gegeben und entwickelte sich zu einem sehr quirligen, lebhaften, stolzen Kind, das sich über sein Leben freute und von viel Liebe umgeben wurde, in diesem christlichen Haus, in dem das Gebet, die Liturgie, die konkrete Nächstenliebe den Mutterboden für seine Inbrunst gegenüber Jesus - für seine Sorge, "ihm Freude zu bereiten" - und der Jungfrau Maria darstellten. Düstere Wolken zogen jedoch an dem leuchtend blauen Himmel auf: seine Mutter wird im Sommer 1877 durch einen Brustkrebs aus dem Leben gerissen.
Das kleine Mädchen von Les Buissonnets in Lisieux
Es bleibt ein Vater mit fünf Töchtern von siebzehn bis vier Jahren zurück. Sein Schwager, Isidore Guérin, Apotheker in Lisieux, lädt ihn ein, zu seiner Familie in diese kleine Stadt von 18.600 Einwohnern zu ziehen. Der Umzug findet am 15. November 1877 statt. Thérèse verbringt elf Jahre in Les Buissonnets, einem schönen, etwas abseits des Stadtzentrums gelegenen Haus mit seinem ruhigen Garten. Ihre Schwestern Marie und Pauline überwachen ihre Erziehung. Die "arme Léonie" hat einen schwierigen Charakter. Céline, die fast vier Jahre älter ist als sie, ist ihre Spielkameradin. Louis Martin besitzt eine ebenso mütterliche wie väterliche Art. Er geht oft mit seiner "kleinen Königin" spazieren, zum Angeln auf dem Land in der Umgebung. Thérèse´s Charakter hat sich verändert: durch den Schock des Abschieds von ihrer Mutter zieht sie sich in ihr Inneres zurück, wird schüchtern und unscheinbar. Der Schulbeginn bei den Benediktinerinnen von Unserer Lieben Frau vom Anger (Notre-Dame du Pré) stellt für sie, die achteinhalb Jahre alt ist, eine schwere Prüfung dar. Diese neuen Beziehungen bringen sie ganz durch einander: "Die fünf Jahre (1881-1886), die ich in der Schule verbrachte, waren die traurigsten meines Lebens." Sie lernt gewissenhaft, liebt den Religionsunterricht, die Geschichte, die Naturkunde; Rechtschreibung und Rechnen bereiten ihr Schwierigkeiten. Es trifft sie mit zehn Jahren sehr hart, daß ihre Lieblings-schwester Pauline in den Karmel eintritt (2. Oktober 1882). Sie hatte sie als zweite Mutter erwählt. Dieser neue seelische Schock öffnet eine Narbe so weit, daß sie schwer krank wird. Einen Monat lang schwebt ihr familiärer Umkreis in fürchterlicher Sorge: die Ärzte sind gegen ihre Halluzinationen, unvorhersehbaren Verdrehungen des Körpers und Abmagerung machtlos.
Familie und Karmelitinnen rufen Unsere Liebe Frau der Siege an. Als man schon nicht mehr weiß, ob das Kind "sterben oder verrückt bleiben" wird, lächelt ihm die Statue der heiligen Jungfrau, die sich im Besitz der Familie befindet, am 13. Mai 1883 zu. Thérèse ist geheilt. Einige Jahre lang wird sie jedoch noch von zwei "Seelenqualen" gepeinigt, die erst bei den Vorbereitungsexerzitien ihrer schon so lange herbeigesehnten Erstkommunion abgeschwächt werden. Am 8. Mai 1884 - sie ist elf Jahre alt - "war es ein Kuß der Liebe", "ein Verschmelzen" mit Jesus: Er schenkt sich ihr, sie schenkt sich ihm. ihr Hunger nach der Eucharistie läßt sie bedauern, daß man die Kommunion nicht jeden Tag empfangen kann. Die Firmung, "dieses Sakrament der Liebe", die sie am 14. Juni 1884 empfängt, entzückt sie. Ferien in Trouville, in Saint-Ouen-le-Pin. Aber die Exerzitien zur Erneuerung lösen eine Krise von Skrupeln aus, die siebzehn Monate andauern wird. Ihre Schwester Marie hilft ihr, sich davon zu befreien. Aber die ältere Schwester tritt ihrerseits in den Karmel von Lisieux ein (15. Oktober 1886). Dies ist zuviel für das junge Mädchen, das von seiner dritten Mutter getrennt wird. Sie steht in ihrem vierzehnten Lebensjahr, mit ihren wunderbaren Augen und langen Haaren ist sie schön, sie mißt 1,62m. Am Strand von Trouville, wo man sie bemerkt, wird sie "die große Engländerin" genannt. Sie lebt jedoch mit einer inneren Not, die erst durch die Fürsprache ihrer vier kleinen Brüder und Schwestern im Himmel endet, die sie im November 1886 anfleht. Befreit von dieser Not, bleibt sie sehr empfindlich, mit schwachem Willen, "weinend darüber, geweint zu haben". Wie kann ich in diesem schlimmen Zustand in den Karmel eintreten denn daran denkt sie, seit sie neun Jahre alt ist - um mit Jesus zu leben
Die "Bekehrung", Weihnachten 1886
Die Gnade bekehrt sie im Treppenhaus von Les Buissonnets in dieser Nacht des 24. Dezember 1886, nachdem sie von der Mitternachtsmesse in der Kathedrale Saint-Pierre zurückgekehrt ist. Ein Wort ihres Vaters löst eine plötzliche innere Verwandlung aus. Die Kraft des göttlichen Kindes füllt ihre Schwäche aus. Sie findet plötzlich wieder zu ihrem starken Charakter zurück, den sie bis zu viereinhalb Jahren hatte. Zehn Jahre des Kampfes gehen zu Ende. Die Quelle ihrer Tränen ist versiegt. Endlich von sich selbst befreit, beginnt sie den "Lauf eines Riesens". "Die Nächstenliebe trat in mein Herz ein, ich vergaß mich, damit ich Freude bereiten kann und seither war ich glücklich. « Nun kann sich ihr Wunsch erfüllen: so rasch wie möglich in den Karmel eintreten, um Jesus zu lieben und für die Sünder zu beten. Im Sommer 1887 bewirkt eine während der Messe empfangene Gnade, daß sie sich im Geiste an den Fuß des Kreuzes stellt, um sein Blut aufzufangen und es den Seelen zu geben. Nachdem sie von dem dreifachen Verbrechen eines gewissen Pranzini gehört hatte, beschließt sie, ihn durch Gebete und Opfer von der Hölle zu erretten. Am 1. September 1887 weint sie vor Freude: bevor er durch die Guillotine hingerichtet wird, küßt der Verurteilte das Kruzifix. Für Thérèse ist ihr "erstes Kind" in die göttliche Barmherzigkeit eingegangen. Sie hofft, im Karmel noch zahlreiche andere zu haben. In diesem Jahre 1887 erblüht sie in jeder Hinsicht: körperlich, intellektuell, künstlerisch und vor allem geistlich.
Mit der Durchhaltekraft der Liebenden kämpft sie darum, mit fünfzehn Jahren in dem Karmel eintreten zu können: sie hat die Einwände ihres Vaters, (der schnell überzeugt wird), ihres Onkels Guérin, des Superiors des Karmels und des Bischofs von Bayeux, Mgr. Hugonin, zu überwinden... sie entscheidet sich, ihre Bitte an Leo XIII. zu richten, da sie mit ihrem Vater und Céline zu einer Pilgerfahrt nach Italien angemeldet ist. In diesem November 1887 entdeckt sie die Schweiz, Florenz, Venedig, Assisi und vor allem Rom, was ihrem Leben einen entscheidenden Ausschlag geben wird. Voller Leidenschaft öffnet sie Augen und Ohren, entdeckt, daß die Priester keine Engel sind, sondern "schwache und gebrechliche Menschen". Sie haben das Gebet bitter nötig, und so versteht sie besser die Berufung des Karmel. Das Ziel ihrer Pilgerfahrt bleibt jedoch das gleiche: den Papst zu bitten, mit fünfzehn Jahren ins Kloster eintreten zu können. Die Audienz vom Sonntag, den 20. November 1887 ist nach Célines Angaben ein "Fiasko". Leo XIII. antwortet auf die flehentlichen Bitten von Thérèse ausweichend. In Tränen aufgelöst wird das Mädchen von der päpstlichen Garde weggeführt. Ihr bleibt nur noch Jesus. Zurück in Lisieux erhält sie nach einer quälenden Wartezeit endlich die Erlaubnis von Mgr. Hugonin. Noch ein wenig Geduld. Am Montag, den 9. April 1888 verabschiedet sich eine sehr gerührte, aber entschlossene Thérèse Martin von Les Buissonnets und den in Tränen aufgelösten Angehörigen. "Für immer, immer" wird sie in dieser Wüste mit Jesus und vierundzwanzig Gefährtinnen im Kloster leben: sie ist fünfzehn Jahre und drei Monate alt.
Im Karmel (1888-1897)
Schwester Theresia vom Kinde Jesu ist glücklich, aber das alltägliche Leben der Karmelitinnen bringt verschiedene Leiden mit sich: das Aufeinanderprallen durch das Leben in der Gemeinschaft, die Kälte, die neuen Eßgewohnheiten, die Trockenheit im Gebet (2 Stunden Betrachtung und 4½ Stunden liturgisches Gebet)... Aber vor allem eine unerwartete Not: die Krankheit ihres so sehr geliebten Vaters. Von Gehirnarteriosklerose und Urämieanfällen geplagt, wird er plötzlich vermisst (Juni 1888), was die nächsten Angehörigen, und vor allem Schwester Theresia ängstigt. Als Postulantin, dann Novizin, wird sie am 10. Januar 1889, nach einer Besinnung von großer innerer Trockenheit, eingekleidet. Nicht ohne Grund sie ihrem Namen "vom Heiligsten Antlitz" bei. Der 12. Februar 1889 ist ein richtungsweisendes Datum für die Familie Martin: nach einem Wahnanfall wird der "Patriarch" in das Krankenhaus des Lieben Erlösers (das Hôpital du Bon Sauveur) in Caen eingeliefert. "Ah! An diesem Tag sagte ich nicht, ich könne noch mehr leiden!!!" Die Novizin sieht, wie das Idealbild ihres gedemütigten Vaters zerbricht. Sie entdeckt das Leiden des verhöhnten Christus, des Leidenden Gottesknechtes, wie ihn Jesaja ankündigte. Ein anderes Leid: die geistliche Atmosphäre der Gemeinschaft, die noch vom Jansenismus und dem Bild Gottes als Rächer geprägt ist. Einige Schwestern fürchten sich vor dieser Gerechtigkeit. Viele von ihnen leiden an Skrupeln. Trotz der Generalbeichte im Mai 1888 bei ihrem geistlichen Leiter, dem Jesuitenpater Pichon, ist Theresia nicht frei von Besorgnis. Ein großer Friede überkommt sie jedoch am 8. September 1890, als sie endlich ihre Profess ablegt. Das Schleierfest (öffentliche Zeremonie) am 24. ist jedoch ein Tag, der "von Tränen ganz verschleiert ist". Es ist die - zu jener Zeit ungewöhnliche - Lektüre des heiligen Johannes vom Kreuz, die ihre Seele weiten wird. Im "Geistlichen Gesang" und in "Lebendige Liebesflamme" entdeckt sie "den Heiligen der Liebe im eigentlichen Sinn". Sie spürt, daß ihr Weg in diese Richtung gehen muß. Während der Gemeinschaftsexerzitien (Oktober 1891) führt sie ein Franziskaner, der Pater Alexis Prou, "auf die Wogen des Vertrauens und der Liebe", auf die sie sich nicht gewagt hatte. Durch den rauhen Winter 1890-1891 und eine schwere Grippeepidemie starben drei Ordensfrauen nach Mutter Genoveva, der Gründerin und "Heiligen" des Karmels von Lisieux. Schwester Theresia wird verschont und zeigt sich aktiv und stark, zeigt ihre eigentliche Natur. Die Rückkehr ihres Vaters - der auf die Entwicklungsstufe eines Kindes zurückge-worfen war - zur Familie Guérin im Mai 1892 (der Mietvertrag für Les Buissonnets wurde an Weihnachten 1889 gekündigt) stellt für Theresia eine Erleichterung dar. Céline läßt ihn nicht mehr aus den Augen, wobei sie jedoch ständig daran denkt, selbst Karmelitin zu werden. Die Wahl ihrer Schwester Agnes von Jesus (Pauline) als Priorin anstelle von Mutter Maria Gonzaga (20.2.1893) erfüllt Theresia mit Glück. Ihre Schwester vertraut ihr die Aufgabe an, Theater-stücke für die liturgischen und gemeinschaftlichen Feste zu dichten und einzustudieren. Theresia schreibt zwei Stücke über Johanna von Orleans, "ihre geliebte Schwester", die am Ende dieses Jahrhunderts besonders geehrt wurde. Sie spielt mit Leidenschaft und Überzeugung (1894-1895). Der Tod ihres Vaters bei Familie Guérin auf Schloß La Musse stellt Céline frei, die gemäß ihrem Wunsch und dem Theresias in den Karmel von Lisieux eintritt (Sept. 1894). Sie bringt ihren Fotoapparat mit, der die Freizeit belebt und der Nachwelt das Antlitz von Schwester Theresia hinterläßt. Ende 1894 Anfang 1895 macht Schwester Theresia, die immer noch auf der Suche nach der Heiligkeit ist, eine entscheidende Ent- deckung: zwei Texte des Alten Testaments, die sie in einem Heft von Céline gelesen hat erleuchten eine mehrjährige Suche, in dem Verlangen, heilig zu werden und im Bewußtsein ihrer Schwachheit, fühlt sie sich nicht in der Lage, die steile Treppe der Heiligkeit zu erklimmen. Aber "der Aufzug", der sie mit sich nimmt, sind die Arme Jesu. Auf diese Weise, indem sie klein bleibt "und es immer mehr wird", macht sie Gott zur Heiligen. Während des ganzen Jahres 1895 entwickelt sie sich, erleuchtet von dieser Offenbarung, geistlich weiter. Nachdem sie die Schätze Gottes, "der Barmherzigen Liebe" entdeckt hat, schenkt sie sich ihm am 9. Juni 1895 bei der Dreifaltigkeitsmesse. Sie erreicht einen mystischen Höhepunkt, was jedoch den Augen ihrer Gefährtinnen immer verborgen bleibt. Mutter Agnes von Jesus trug ihr auf, ihre "Kindheitserinnerungen" für ihre Familie niederzuschreiben. Theresia gehorcht und beginnt in ihren seltenen freien Augen- blicken, "die Barmherzigkeit des Herrn in ihrem kurzen Leben zu besingen". Sie sieht sich wie eine "kleine weiße Blume", die unter den göttlichen Sonnenstrahlen gedeiht. Im Januar 1896 übergibt sie der Priorin ein Heft von 86 Seiten (Manuskript A), in dem sie eine Übersicht ihres Lebens unter dem Licht der Barmherzigen Liebe gibt. Die Wiederwahl von Mutter Maria Gonzaga am 21. März 1896, nach sieben Wahlgängen, spaltet die Gemeinschaft. Die Priorin vertraut die fünf Novizinnen der jüngsten an: Schwester Theresia vom Kinde Jesus. Sie übernimmt die unter diesen Umständen schwierige Aufgabe mit einer erstaunlichen Reife und Sachkenntnis. Ihr werden ebenfalls zwei Priester-Missionare anvertraut, die nach China und Afrika entsandt werden. Diesen sieben jungen Menschen teilt sie die Geheimnisse ihres "kleinen Weges der geistlichen Kindschaft" mit, der ihr so gut gelingt (vgl. Der kleine Weg)
Der Leidensweg
Seit einigen Monaten leidet Schwester Theresia unter Halsschmerzen, die man vergeblich behandelt, und erleidet während der Karwoche 1896 zwei Bluthustenanfälle. Weit davon entfernt, darüber zu erschrecken, sieht sie hierin vielmehr einen Ruf des Bräutigams und freut sich, bald zu ihm gelangen zu können. Aber plötzlich aus der Fassung gebracht, überkommt sie in Ostern eine tiefe innere Nacht, ein "Kellergewölbe", "Nebel". Der Himmel scheint ihr verschlossen. Diese Prüfung des Glaubens und der Hoffnung, die sie an der Passion Jesu teilhaben läßt, dauert mit einigen Atempausen bis zu ihrem Tod an. Erlösende Prüfung: sie nimmt es an, alleine in der Nacht zu bleiben, damit das Licht die Gottlosen erreichen kann. Im Laufe des Sommers, quälen sie beim Gebet seltsame "große Wünsche": sie möchte Priester, Prophet, Kirchenlehrer, Missionar, Märtyrer werden ... Sie stößt auf eine Stelle bei Paulus und entdeckt endlich - sie ist 22 Jahre - ihre eigentliche Berufung: "Im Herzen der Kirche, meiner Mutter, werde ich die Liebe sein. Auf diese Weise werde ich alles sein." Indem sie ihre Geheimnisse für Schwester Maria voM Heiligsten Herzen, ihrer Patin, im September 1896 niederschreibt, hinterläßt sie der Welt ein geistliches Meisterwerk (Manuskript B). ihr Wunsch, "Seelen zu retten", verfolgt sie ständig: ihre Abreise in den Karmel nach Saigon, der vom Karrnel von Lisieux gegründet wurde, wird in Betracht gezogen, Aber die immer noch nicht festgestellte Tuberkulose schreitet fort. Anfang 1897 spürt Schwester Theresia, daß "ihr Lauf nicht lang sein wird". Im April muß sie erschöpft das gemeinschaftliche Leben aufgeben. Sie bleibt in ihrer Zelle oder im Garten. In Juni wird sich Schwester Agnes ihres bevorstehenden Todes bewusst. Entsetzt spricht sie bei Mutter Maria Gonzaga vor, damit ihre junge Schwester ihre Erinnerungen vervollständigt. Fiebrig schreibt Theresia noch 36 Seiten in ein kleines schwarzes Heft. Völlig erschöpft wird sie am 8. Juli in die Krankenabteilung gebracht. Einen Monat lang spuckt sie Blut, schläft wenig, kann sich nicht ernähren. Die Tuberkulose erreicht die Eingeweide. Doktor de Cornière behandelt sie nach den mangelhaften Möglichkeiten der Zeit. Ihre Schwestern wechseln sich im den Krankenzimmer ab, um bei ihr zu wachen. Mutter Agnes schreibt seit April die Worte ihrer Schwester auf. Mehr als 850 aufgezeichnete Worte werden später zu den "Letzten Gesprächen". In diesem kleinen Zimmer leidet, betet, weint Theresia oder scherzt, um ihre Schwestern zu zerstreuen, und bringt ihr kurzes Leben zur Sprache. Sie befindet sich immer noch in der Nacht; deshalb versteht sie die Versuchung zum Selbstmord. Aber bis zum Ende lebt sie im Vertrauen und der Liebe. Sie identifiziert sich mit dem leidenden Jesus und opfert alles "für die Sünder" auf. Es überkommt sie der große Wunsch, "nach ihrem Tode Gutes zu tun". Sie schreibt noch mühsam einige Briefe als Testament an ihre beiden Brüder Bellière und Roulland. Schreckliche Schmerzen erschöpfen sie, ohne ihr das Lächeln oder ihren tiefen Frieden zu nehmen. Auf einen Zeitraum der Linderung folgt ein 48 Stunden dauernder Todeskampf.
Die letzten Worte der kl. Thérèse (30. September 1897):
"Oh! Das ist wirklich das reine Leiden, denn es gibt keinen Trost dabei. Nein, nicht einen! O mein Gott!!! Und doch liebe ich Ihn, den lieben Gott ... O liebe Heilige Jungfrau, komm mir zu Hilfe! Wenn das der Todeskampf ist, was ist dann der Tod? ... O Mutter! Ich versichere Sie, der Kelch ist voll bis zum Rand! Ja mein Gott, soviel Du willst ... Aber hab´ Mitleid mit mir! ... Mein Gott, mein Gott, hab´ Mitleid mit mir! Ich kann nicht mehr ... Ich kann nicht mehr! Und doch muss ich durchhalten ... Ich bin ... Ich bin am Ende ... Nein, nie hätte ich geglaubt, dass man so leiden kann ... Nie, nie! O Mutter ich glaube nicht mehr an den Tod für mich ... Ich glaube nur noch an das Leiden! Morgen wird es noch schlimmer sein! Nun gut, um so besser! Gut! Weiter! Weiter! Oh! Ich möchte nicht weniger leiden! ... Oh! Ich liebe Ihn ... Mein Gott ... ich ... liebe Dich!"
"Als sie diese Worte ausgesprochen hatte, sank sie plötzlich sanft zurück, den Kopf nach rechts geneigt. Unsere Mutter ließ unverzüglich die Glocke der Krankenwärterei läuten, um die Kommunität zusammenzurufen. "Öffnet alle Türen", sagte sie gleichzeitig. Dieses Wort hatte etwas Feierliches an sich, so dass ich denken musste, der liebe Gott sagt jetzt das Gleiche zu seinen Engeln. Die Schwestern hatten noch Zeit, sich rings um das Bett zu knien, und wurde Zeuge der Verzückung der kleinen heiligen Sterbenden. Ihr Gesicht hatte seine Lilienfarbe, die ihm bei voller Gesundheit eigen gewesen war, zurückgewonnen, ihre Augen blickten nach oben, strahlend in Friede und Freude. Sie bewegte den Kopf auf anmutige Weise, so als habe jemand sie mit einem Liebespfeil göttlich verwundet, dann den Pfeil herausgezogen, um sie von neuem zu verwunden ... Sr. Maria von der Eucharistie näherte sich mit einer brennenden Kerze, um ihren erhabenen Blick aus der Nähe besser zu sehen. Im Licht dieser Kerze war keine Bewegung ihrer Lider zu sehen. Diese Verzückung dauerte ungefähr wie ein Credo, dann stieß sie ihren letzten Seufzer aus. Nach ihrem Tod blieb ein himmlisches Lächeln auf ihrem Gesicht. Sie war bezaubernd schön. Sr. Theresia wurde am 04. Oktober 1897 beigesetzt."
(nach einem Bericht von Sr. Agnes von Jesus)
Sie lebte unbekannt in einem Karmel in der Provinz und starb unbekannt. Sie starb sowohl an Tuberkulose, als auch aus "Liebe", gemäß ihrem Wunsch. Kurz vor ihrem Tod schrieb sie noch an Abbé Bellière: "Nein, ich sterbe nicht, ich trete in das Leben ein."